Das Europaparlament diskutiert Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal
Nach der Einführung eines Wirecard-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag diskutierte das Europäische Parlament in seiner Sitzung vom 7.10.2020 mögliche Konsequenzen aus dem Betrugsvorfall des ehemaligen DAX-Konzerns. Staatsminister Roth sieht Aufsichtskompetenzen für große Konzerne weiterhin in nationaler Hand. Für die deutsche Bundesregierung und als Vertreter des Rates sprach Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, vor den Parlamentariern in Brüssel. Er versicherte den Anwesenden die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals und die Überprüfung der Regeln im Bereich der Rechnungslegung. Auch die Stärkung der Effektivität der behördlichen Aufsicht sicherte er zu. Er erhoffe sich, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Bundestag Anhaltspunkte für weitere Reformen liefern werde. Schließlich werfe die Causa Wirecard ein schlechtes Licht auf die Kapitalmarktunion, den wirtschaftsprüfenden Beruf, die Corporate-Governance und die Rechtsdurchsetzung. Gleichzeitig nahm Roth die nationale Aufsichtsbehörde in Schutz: Die Antwort (auf Wirecard) kann nicht darin liegen, einfach mit dem Finger auf die nationalen Aufsichtsbehörden zu zeigen oder den europäischen Agenturen mehr Zuständigkeiten und Befugnisse zu übertragen. Das anhaltende Vertrauen in den europäischen Finanzplatz sei wichtig. Deshalb werde die deutsche Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres weitere Vorschläge hierzu unterbreiten. Vladis Dombrovskis, verwies in seiner Replik auf Staatsminister Roth auf die andauernden Überprüfungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Für die EU-Kommission stehe bereits im ersten Bericht der ESMA vom 15.7.2020 fest, dass die Hauptursache für den Zusammenbruch der Betrug in der Finanzberichterstattung (sei), der möglicherweise über mehrere Jahre hinweg begangen wurde. Und wir können und sollten bereits darüber nachdenken, wie wir Investoren in der EU in Zukunft besser vor solchen Fehlern schützen können. Dombrovskis verweist auf drei Verteidigungslinien der EU-Gesetzgebung, die weiter verstärkt gehören. So sei auf der Unternehmensebene über eine zwingende Einrichtung eines Prüfungsausschusses als Vorbedingung zur Notierung an einem regulierten Markt zu überlegen. Auf Ebene der Rechnungsprüfer könnte der EU-Gesetzgeber Änderungen zur Stärkung der Rolle der Abschlussprüfer in Bezug auf Betrugsrisiken und die Wirksamkeit der internen Kontrollen der Finanzberichterstattung umfassen und letztlich könnte beim Thema Aufsicht die ESMA gegenüber den zuständigen nationalen Behörden mehr Befugnisse für Durchsetzungsmaßnahmen erhalten. In der anschließenden Debatte rief die Absage Roths gegenüber stärkeren Aufsichtsbefugnissen auf europäischer Ebene viel Widerspruch hervor. Markus Ferber (EVP/CSU) verweist mit Blick auf Wirecard, dass internationale Presseberichte bereits frühzeitig dem Betrugsverdacht nachgingen, während die BaFin noch abwiegelte. Ferber kritisiert die Forderung des Bundesfinanzministers Scholz, die europäische Ebene zu stärken, als nicht ernstgemeint. Scholz habe sich in der Vergangenheit einer stärkeren Rolle der EU verwehrt. Allemal lohne sich darüber nachzudenken, ob die Etablierung einer europäischen Sonderstaatsanwaltschaft zur Durchsetzung bestehender Regeln beitragen könne. Sven Giegold (Grüne) betonte in seiner Rede, dass das Europäische Parlament in den letzten Jahren der Leitidee folgte, in der Finanzaufsicht große europäische Akteure unter gemeinsame europäische Aufsicht zu stellen und kleinere Unternehmen unter Wahrung der Subsidiarität den nationalen Behörden. Im Wirecard-Fall sei diese Leitidee bestätigt worden, da die nationalen Aufsichtsbehörden ihre vorgesehene Tätigkeit nicht ausüben konnten. Martin Schirdewan (LINKE) plädiert für einen grundlegenderen Ansatz. Die Unternehmen im wachsenden FinTec-Sektor sollten auf das ökonomische sinnvolle Größenmaß reduziert werden. Unternehmen dürften nicht den Status too big to fail erreichen. Zudem forderte Schirdewan die Stärkung der europäischen Finanzaufsichtsbehörden, harmonisierte Standards zur Klassifizierung, schärfere Regulierungen und die Aufsicht von FinTec-Unternehmen sowie die Änderung der EU-Wirtschaftsprüfungsrichtlinie mit dem Ziel einer öffentlichen Prüfgesellschaft anstelle der Big Four. Engin Eroglu (Freie Wähler/ Renew Europe): Der Fall Wirecard sei auch ein Skandal der Wirtschaftsprüfer. Das Testat der Wirecard-Prüfer habe die Anleger getäuscht. Eroglu forderte deshalb eine Verschärfung des bestehenden Systems, sodass Prüfer künftig für ihre Testate auch in Haftung genommen werden können. Mit dieser unternehmerischen Haftung würden Fehlanreize beendet. Paul Tang (S&D): Die Aufdeckung von Bilanzbetrügen dürfe nicht, wie bei Wirecard, Journalisten überlassen werden, die dafür noch mit Sanktionen rechnen müssten. Tang plädiert zur Stärkung des gesamten Aufsichtssystems inklusive stärkeren Kompetenzen der europäischen Aufsichtsbehörde. Stand: 2.11.2020