Whistleblower-Richtlinie vor der Umsetzung

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Die durch die COVID-19 Pandemie bedingte Ausnahmesituation darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gesetzgeberische Umsetzungspflichten für europäisches Recht weiterhin bestehen. Die Umsetzung einer für den Berufsstand höchst problematischen EU-Richtlinie wird derzeit im Bundesjustizministerium vorbereitet. Die COVID-19-Pandemie wirkt wie ein Brennglas. Staatliche Fiskalpolitik wird in bislang nicht gekanntem Umfang gebündelt, um die größten wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemiebekämpfung zu mildern. Auch das Verhältnis zwischen Mandanten und Beratern ist in diesen Monaten nochmals enger und vertrauensvoller geworden. Nicht zuletzt führt dies über die Verbandsarbeit auf Landes- und Bundesebene zu zielgerichteten Politikempfehlungen, die in Maßnahmen, wie zuletzt beim Corona-Hilfsmaßnahmenpaket, einfließen (Mit steuerlichem „Wumms“ aus der Krise?). Vertrauen im Mandatsverhältnis ist ein Eckpfeiler der Steuerrechtspflege Unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist ein intaktes Vertrauensverhältnis zwischen Beratern und Mandanten. Erst die in § 57 Steuerberatungsgesetz (StBerG) normierte Verschwiegenheitspflicht der Berufsangehörigen schafft die Grundlage für eine vertrauensvolle Kommunikation. § 62 StBerG weitet diesen Vertrauensraum auf angestellte Personen aus. Unter diesen Bedingungen wandelt sich die nüchterne Information in eine qualitativ hochwertige Beratungsdienstleistung. § 203 Strafgesetzbuch nennt Berufsgruppen, denen bei Verletzung von Privatgeheimnissen Geld- und Freiheitsstrafe drohen. Weitere Berufsordnungen folgen entsprechend dieser Verschwiegenheitspflicht: Wirtschaftsprüfer (§ 57b Wirtschaftsprüferordnung), (steuerrechtlich) beratende Anwälte (§ 43a Bundesrechtsanwaltsordnung) und etwa Mitgliedern von Heilberufen wie Ärzten (§ 9 Abs. 1 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte). Whistleblower-Richtlinie mit bitteren Nebenwirkungen für die Organe der Steuerrechtspflege Die durch die COVID-19 Pandemie bedingte Ausnahmesituation darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gesetzgeberische Umsetzungspflichten für europäisches Recht weiterhin bestehen. Die Umsetzung einer für den Berufsstand höchst problematischen EU-Richtlinie wird derzeit im Bundesjustizministerium vorbereitet. Es handelt sich hierbei um die im April 2019 verabschiedete Whistleblower-Richtlinie. Die Richtlinie (EU) 2019/1937 „zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ soll Hinweisgebern (Whistleblowern) europaweit einen Mindestschutz gewährleisten, wenn sie Kenntnisse über Verstöße gegen EU-Vorschriften z.B. im Bereich der Finanzdienstleistungen, Bekämpfung der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung erlangen. Neben diesem sachlichen Anwendungsbereich kommen im persönlichen Anwendungsbereich Selbstständige, Arbeitnehmer und Beamte aller Hierarchieebenen als potenzielle Whistleblower in Frage. Grundsätzlich gilt dies auch für die unter § 203 StGB gelisteten Berufsgruppen. Catch-All-Ansatz bei Berufsprivilegien aus der Richtlinie gestrichen Der Richtlinienentwurf der Kommission vom 23.4.2018 (COM (2018) 218 final) sah in Erwägungsgrund 69 vor, den Schutz gesetzlicher und sonstiger beruflicher Vorrechte nach nationalem Recht, zu denen auch die Verschwiegenheitspflicht der Steuerberatern gehört, unberührt zulassen. Im Verlauf der Trilog-Verhandlungsrunden zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Ministerrat setzte sich die Meinung durch, national normierte berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten nicht als Ausnahme für den persönlichen Anwendungsbereich zuzulassen. Im Verhandlungsergebnis wurden im Erwägungsgrund 26 nur die Berufsgruppen der Ärzte („ärztliche Schweigepflicht“) und der Rechtsanwälten („anwaltliche Verschwiegenheitspflicht“) vom Geltungsbereich der Whistleblower-Richtlinie ausgenommen. Sie unterliegen weiterhin den bewährten und strengen Ausnahmen nationaler Gesetzgebung. Für alle anderen Berufe gilt künftig Artikel 21 der Richtlinie. Danach hat die hinreichend begründbare (Verdachts-)Meldung, auch entgegen den Offenlegungsbeschränkungen, grundsätzlich keinerlei strafrechtliche Konsequenzen. Der DStV hat den Wegfall der Verschwiegenheitspflicht von Beginn an kritisiert und sich in den Beratungen für die Beibehaltung der Gleichbehandlung der Berufsgruppen eingesetzt (E 13/18 Stellungnahme, Bericht vom 4.9.2018). Verschwiegenheitsprinzip ist kein Luxusrecht Die Whistleblower-Richtlinie steht im Spannungsverhältnis zwischen dem berechtigten Schutzbedürfnis von Hinweisgebern bzw. dem Aufdecken strafrechtlich relevanter Sachverhalte und der Wahrung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mandanten. Das Grundgesetz schützt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Bürger durch Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG. Auch die EU-Grundrechtecharta (Art. 7) und der EU-Vertrag (Art. 2) normieren dieses Grundrecht. Das Abwägen öffentlichen Interesses mit dem Schutz der Privatsphäre findet sich in den Berufsordnungen der unter § 203 StGB genannten Berufen wieder. Eingriffe in die Privatsphäre sind in Deutschland nur dem Gesetzgeber bzw. den Strafverfolgungsbehörden vorbehaltlich einer richterlichen Anordnung erlaubt. Die Verschwiegenheitspflicht ist keine Privilegierung einzelner Berufsgruppen. Sie dient ausschließlich dazu, das Mandatsgeheimnis zu schützen und ein unbefugtes Offenbaren schutzwürdiger Tatsachen zu verhindern (§ 203 StGB). Der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor willkürlicher, missbräuchlicher oder versehentlicher Veröffentlichung oder aufgrund subjektiver Einschätzung darf mit Blick auf den möglichen Schaden für unbefangene Geheimnisherren nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Der Schutz des Privaten durch strenge Sanktionen bei Verstößen gegen das Verschwiegenheitsprinzip ist kein Luxusgut. Es ist ein fundamentales Grundrecht der Bürger. Mit dem Beginn der Beratungen zur Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie im Herbst 2020 werden die Bundesregierung und der Bundestag darüber hinaus vor der Frage stehen, wie das neue EU-Recht mit der berufsrechtlichen Obligation der Verschwiegenheitspflicht von Steuerberatern im Verhältnis zu Rechtsanwälten in Einklang zu bringen ist. Ungleichbehandlung der Verschwiegenheitspflicht droht Bislang unterliegen beide Berufsgruppen in gleicher Weise der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 203 StGB. Zwar würde auch nach der Manifestierung unterschiedlicher Verschwiegenheitspflichten die gewohnte Verschwiegenheit weiter als berufsethisches Maxim der Steuerberater bestehen bleiben, die gesetzlichen Grundlagen würden sich mit der Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie jedoch dramatisch ändern. Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ebenso wie Rechtsanwälten sind nach § 3 StBerG zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Mit der anstehenden Umsetzungsgesetzgebung zeichnet sich eine Diskrepanz ab. Eine steuerliche Beratung, die „zufälligerweise“ durch einen Rechtsanwalt vorgenommen wird, würde fortan anders behandelt werden als die Beratung durch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Diese Ungleichbehandlung wäre nach Ansicht des DStV ein nicht gerechtfertigter Eingriff in Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz). Durch diese Ungleichbehandlung stellt sich die Frage, ob Mandanten mit Blick auf den dann gesetzlich normierten eingeschränkten Schutz, auch weiterhin bei Steuerberatern bzw. Wirtschaftsprüfern Beratungen anfragen werden, oder ob nicht dann die Entscheidung vermehrt für den Fachanwalt für Steuerrecht mit garantierter „anwaltlicher Verschwiegenheitspflicht“ ausfallen wird. Aus ordnungspolitischer Sicht stellen sich Fragen, wie sich wettbewerbsverzerrende Effekte durch eine Ungleichbehandlung beider unabhängigen Organen der (Steuer-)Rechtspflege vermeiden ließen, ohne Gefahr der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission zu laufen. Der DStV wird den Prozess der Implementierung in nationales Recht eng mit dem Bundesjustizministerium und den Mitgliedern des Deutschen Bundestages begleiten und sich vehement dafür einsetzen, den bestehenden Berufsgeheimnisschutz für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in gleicher Weise zu erhalten, wie dies für die Rechtsanwälte vorgesehen ist. Stand: 10.8.2020

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