Die deutsche Ratspräsidentschaft in Zeiten von Corona
Deutschland hat am 1.7.2020 turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Für Angela Merkel ist es nach 2007 bereits das zweite Mal. Die Erwartungen an die Vermittlungsfähigkeit der Bundeskanzlerin sind enorm hoch. Der Erfolg der deutschen Präsidentschaft wird sich vor allem an einer Einigung über das Wiederaufbauprogramm und den EU-Haushalt messen müssen.
Dreizehn Jahre ist es her, seit Deutschland das letzte Mal die EU-Ratspräsidentschaft innehatte. Mit Blick auf die außerordentliche gesundheitliche und wirtschaftliche Lage in Europa, stehen entscheidende Monate des Neuaufbaus bevor. Dabei wird Deutschland als Mediator und Motor zugleich gefragt sein. Unterstützung erfährt die Bundesregierung aus Portugal und Slowenien, die 2021 turnusgemäß die Ratspräsidentschaften übernehmen. Gemeinsam bilden sie die sogenannte Trio-Ratspräsidentschaft (Programm der Trio-Ratspräsidentschaft). Der Ausbruch der COVID-19 Pandemie wirbelte die deutsche Prioritätenliste kräftig durcheinander. Noch zu Jahresbeginn stand der Abschluss eines Freihandelsabkommen mit Großbritannien oder die Intensivierung der EU-China-Beziehung im Mittelpunkt. Während der Brexit seit Januar 2020 feststeht und auch die Übergangsperiode durch die britische Regierung nicht weiter verschoben wird, stehen nun die Zeichen auf einen harten Brexit zum Ende des Jahres. Verschoben wurde der EU-China-Gipfel, der mit 15.000 Teilnehmenden im September in Leipzig stattfinden sollte. Gerade mit China besteht jedoch dringender Gesprächsbedarf bei den Themen Investitionsschutzabkommen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Bereits letztes Jahr war abzusehen, dass die Einigung zum EU-Haushalt (Mehrjähriger Finanzrahmen) in das zweite Halbjahr 2020 fallen würde. Die Diskussionen um die Corona-bedingte Stützung und den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft, bei gleichzeitiger Umsetzung der Pariser Klimaziele und des Green New Deals, werden die bestimmenden Themen der ersten Hälfte der Ratspräsidentschaft werden. Der deutsch-französische Vorschlag, gedoppelt vom Next Generation EU-Plan der EU-Kommission, wird gemeinsam mit dem EU-Haushalt zu langen Verhandlungsnächten führen. Einigkeit unter den Staats- und Regierungschefs herrscht bereits über die Modalitäten der EU-Schuldenaufnahme. Gestritten wird dieser Tage noch über den Verteilungsschlüssel und die Konditionalität der Mittelvergabe. Ein erstes Zwischenfazit, ob die deutsche Ratspräsidentschaft erfolgreich sein wird, lässt sich bereits im September ziehen. Die gefundenen Kompromisse müssen durch die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament bestätigt werden, was wiederum mehrere Wochen in Anspruch nehmen dürfte. Grundsätzlich bedingte die COVID-19 Pandemie im europäischen Gesetzgebungsprozesseinen Stau der EU-Agenda, den Deutschland und die beiden folgenden Ratspräsidentschaften nun ebenfalls abarbeiten müssen. Kurz vor Ende der kroatischen Ratspräsidentschaft konnten sich die EU-Institutionen noch auf ein Mandat zur EU-Zukunftskonferenz einigen. Von der Konferenz werden wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der EU als Ganzes erwartet. Besonders aus der deutschen Zivilgesellschaft wird die Forderung lautstark an die Bundeskanzlerin herangetragen, dem Thema größere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Trio-Ratspräsidentschaft unterstützt den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Aktionsplan im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Digitalisierung durchzieht immer weitere Bereiche des Alltags und der Wirtschaft. Im Finanzwesen erhofft sich das Präsidentschaftstrio eine stärkere Inklusion der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele und des Grünen Deals. Weitere Themen sind: Kryptowährungen, eine faire Mindestbesteuerung digitaler Wirtschaftsvorgänge, die Verhandlungsabschlüsse der Novellierungen zur Tabakverbrauchsteuer und die Energiebesteuerungsrichtlinie. Die weiteren Schwerpunkte der Deutschen Präsidentschaft finden Sie auf https://www.eu2020.de/eu2020-de/programm. Nach Abarbeitung der genannten Themenbereiche bleiben weitere Prioritäten der Bundesregierung wie Digitalisierung, Migration, der Stärkung der KMU-Wirtschaft und die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Erstmals wird die EU-Kommission im zweiten Halbjahr 2020 eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Staaten abschließen und dazu berichten. Die Bundesregierung spricht sich für eine Bindung der Mittelverwendung aus dem EU-Haushalt an die Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien aus. Mit der Staffelübergabe an Deutschland verbinden die kroatischen KollegInnen den gutgemeinten Tipp erwarten Sie das Unerwartete. Mit Blick auf die weiteren Dossiers bleibt der Bundesregierung und allen EU-Institutionen nur zu wünschen, dass der Regelbetrieb der EU-Gesetzgebung gerade während der COVID-19-Pandemie aufrecht erhalten bleibt und die hohen Erwartungen an die Bundesregierung am Ende nicht enttäuscht werden. Stand: 13.7.2020